Wer sich erkältet, braucht Vitamin C. Sagt man. Profitieren tun davon allerdings nur die Hersteller. Als Nahrungsergänzungsmittel bringt Vitamin C in Bezug auf Erkältungsprävention und –behandlung: Nichts.
Von Mike Mandl
So hartnäckig wie jedes Jahr im Herbst die langwierigen Erkältungswellen über das Land rollen hält sich der Irrglaube, dass über Nahrungsergänzungsmittel zusätzlich konsumiertes Vitamin C eben jene in der kalten Jahreszeit vermehrt auftretenden Krankheiten verhindern oder verkürzen kann. Das ist wissenschaftlich jedoch nicht nachweisbar. Das ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Trotzdem werden Jahr für Jahr hunderte Millionen für Vitaminpräparate ausgegeben und sogar in beliebten Medikamenten scheint Vitamin C für den entscheidenden Turboboost in Richtung Gesundheit zu sorgen. Siehe Aspirin und Konsorten. Steht Vitamin C drauf, wird Vitalität und starke Abwehrkraft suggeriert. Das Angebot scheint so groß wie die Versprechungen zu sein. Im Schnitt baut jede dritte Person darauf. Und trotzdem: Jahr für Jahr die gleiche Geschichte. Ein Volk erkrankt, sobald sich die Sonne in den Winterschlaf begibt. Selbst täglich eingenommene hohe Dosen können eine Erkältung nicht verhindern. Woher kommt er also, der Vitamin Hype?
Von Seefahrern und Forschern
Natürlich: Ein Vitaminmangel kann durchaus gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Zur Bekanntheit hat es diesbezüglich die Seefahrerkrankheit Skorbut gebracht. Auf den langen Seefahrten im Zeitalter der Segelschiffe und großen Entdeckungsfahrten dominierte eine äußerst einseitige Ernährung. Bei anhaltendem Fehlen von Vitamin C in der Nahrung können bei Menschen nach zwei bis vier Monaten Mangelsymptome wie Zahn- und Zahnfleischprobleme, Muskelschwund, Anfälligkeit gegen Infektionskrankheiten, Durchfall oder Fieber auftreten. Ja sogar der Tod durch Herzschwäche ist möglich. Sauerkraut und Zitrusfrüchten an Board schufen diesbezüglich Abhilfe.
Denn ja, ein eklatanter Mangel an Nährstoffen kann das Immunsystem schwächen und zu Erkrankungen führen. Die logische Schlussfolgerung daraus: Je mehr Vitamine, desto besser die Gesundheit. Und dann kam auch noch Linus Pauling, seines Zeichens zweifacher Nobelpreisträger. Dieser schrieb 1970 das Buch „Vitamin C and the Common Cold“, in dem er Vitamin C als das Mittel schlechthin zu Vorbeugung und Behandlung von sehr vielen Krankheiten, vor allem aber von Erkältungskrankheiten pries. Auf dieses Buch wird immer noch gerne Bezug genommen. Auch wenn die Wissenschaft mittlerweile klar dagegen spricht.
Cochrane Review
Cochrane Reviews sind systematische Übersichtsarbeiten, in denen die Forschungsergebnisse zu Fragen der Gesundheitsversorgung und -politik zusammengefasst werden. Diese Reviews sind international als Qualitätsstandard in der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung anerkannt. 2013 untersuchte nun ein Cochrane Review, ob Vitamin C bei regelmäßiger Einnahme das Auftreten von Erkältungen verhindern oder ob Vitamin C als Behandlungsform die Dauer oder Schwere einer bereits bestehenden Erkältung mindern kann. Dabei wurden 67 randomisierte, placebo-kontrollierte Studien analysiert. Die Haupterkenntnisse:
- Die regelmäßige Einnahme von Vitamin C hat keinen Einfluss auf das Auftreten von Erkältungen in der normalen Bevölkerung.
- Die regelmäßige Nahrungsergänzung mit Vitamin C könnte die Dauer von Erkältungssymptomen reduzieren, wenn auch nur recht wenig (bei Erwachsenen von 7 auf 6,5 Tage, bei Kindern von 7 auf 6 Tage).
- Bei Spitzensportlern wie Marathonläufern oder Menschen, die wirklich extremer körperlicher Belastung ausgesetzt sind wie Soldaten, die Winterübungen im Gebirge machen, kann Vitamin C das Erkältungsrisiko halbieren.
- Nebenwirkungen wurden nicht untersucht.
Wohlgemerkt: In den meisten Studien zu Erkältung nahmen die teilnehmenden Personen bis zu zehnmal mehr als den täglichen Bedarf an Vitamin C zu sich. Das bringt also einen Vorteil von einem halben Tag in der Genesungsdauer von im Schnitt einer Woche. Für diese Wirkung haben die Studien-Teilnehmenden die Vitaminpräparate teilweise jedoch mehrere Jahre lang regelmäßig eingenommen. Was allerdings gar nichts zu bringen scheint: Ein hoch dosierte Einnahme von Vitamin C, sollten die Anzeichen einer Erkältung bereits merkbar sein. Fazit: Es gibt de facto keinen wissenschaftlichen Hinweis, dass Vitamin C Erkältungssymptome lindern kann.
Innere Kälte als Basis für Erkältung
An sich ist das alles kein großes Problem. Vitamin C ist wasserlöslich und ein Überschuss wird einfach vom Körper wieder ausgeschieden. Aber es gibt ein kleines Problem anderer Natur: Das kann wiederum die Traditionelle Chinesische Medizin (TMC) gut erklären. Denn in der TCM geht es nicht nur um Inhaltsstoffe. Hier geht es in Bezug auf Ernährung vor allem um den thermischen Aspekt. In der TCM gibt es heiße Nahrungsmittel, wie eine Chili zum Beispiel. Und es gibt kalte Nahrungsmittel, wie Südfrüchte zum Beispiel. Und ja: Dazu zählen auch Orangen, Mandarinen oder Zitronen.
In unserer Vitamin C Manie greifen wir in der kalten Jahreszeit vermehrt auf Südfrüchte zurück, um Erkältungen vorzubeugen. Im Worst Case kommen dazu noch Nahrungsergänzungsmittel mit einem hohen Vitamin C Anteil. Diese sind laut TCM ebenfalls thermisch kalt bis sehr kalt. Südfrüchte bewähren sich gut im Süden. Dort sollten sie auch bleiben. Um der dortigen Hitze thermisch entgegen zu wirken. Denn kalte Nahrung erzeugt innere Kälte. Das ist bei uns im Herbst suboptimal. Stichwort kalte Füße, kalte Hände, generelle Kälteempfindlichkeit. Denn wie kann man mit einem hohen Maß an innerer Kälte gegen äußere Kälte ankämpfen? Wie kann man sich mit innerer Kälte gegen Erkältungen wehren?
Zu diesem Zusammenhang dürfen wir uns allerdings keine Cochrane Review erwarten. Braucht es aber auch nicht. Dazu reicht der Hausverstand. Wer im Winter die Heizung ab statt an dreht, darf sich nicht wundern, wenn sich Feuchtigkeit und Schimmeln an den Wänden bilden. Und erleben wir das nicht jeden Herbst aufs Neue? Dass, obwohl wir uns in einem kollektiven Vitamin C Rausch befinden, die Erkältungswellen immer größere Kreise ziehen? Dass immer mehr Leute immer länger verschnupft oder verkühlt sind? Wollen wir uns diesem Kreislauf entziehen, braucht es ein Umdenken. Einerseits sollte man aufhören den Vitamin C Kult zu huldigen. Andererseits sollte man thermisch vernünftige Maßnahmen setzen. Wie das geht? Steht im nächsten Beitrag.
WEITERE BLOGS ZU DIESEM THEMA: